Autor

Politycki, Matthias

Titel

Herr der Hörner

Originaltitel

Genre

Unterhaltung

Seiten

727

Erscheinungsjahr

2005

Auszeichnungen

Verfilmungen

Verlag

Hoffmann und Campe

Website des Autors

www.matthias-politycki.de

Wertung

Inhalt

Das Bild, das die Allgemeinheit von Kuba hat, is voller verträumter Klischees, welche die Wirklichkeit in großem Ausmaße beschönigen. Selten erwähnt werden die Knappheit sämtlicher Nahrungsmittel und anderer Güter, die man zum Leben braucht, die weit verbreitete Prostitution, die schlechte Wasser- und Stromversorgung und der starke Aberglaube, bei dem sich Christentum mit Santeria, palo monte mit Voodoo mischen. Mitten hinein in diesen Irrgarten des Glaubens gerät der Finanzberater Broder Broschkus, der seine Gattin in Deutschland zurück lässt und sich mit 50+ ein schönes Leben machen will. Doch dazu fehlt noch die passende Frau, diejenige, die er im Urlaub getroffen, die ihm drei Geldscheine zugesteckt hat, mit seltsamen Symbolen darauf...

Rezension

„So leidenschaftlich, hitzig, wuchtig, maßlos, farbig, schrill und authentisch hat noch kein deutscher Schriftsteller von Kuba erzählt“ (Hajo Steinert, Focus). Diesem Urteil kann ich mir nur anschließen, wobei ich natürlich keine Aussage darüber machen kann, ob tatsächlich zutrifft, was Politycki über das Land zu berichten weiß. Aber genau so würde ich es mir vorstellen. Auf den ersten Blick ein vollkommenes Paradies, dessen Fassade mit jedem Tag, den Broschkus dort verbringt, weiter zerbröckelt. Der Spruch, dass Leben sei ein einziger Kampf, gilt dort mehr als in den meisten Ecken Europas. Einzig in den Bachkriegsjahren musste man hier solche Entbehrungen in Kauf nehmen und stundenlang für ein Laib Brot anstehen. Deshalb verstand ich mit jeder Seite weniger, was die Hauptfigur so an Kuba faszinierte. Man kann nicht einmal sagen, die Menschen seien dort „echter“, da sie einander nach Strich und Faden belügen, bestehlen und ständig schnorren, so dass man überhaupt nicht beurteilen kann, wer Broschkus wirklich wohlgesonnen ist und wer ihm nur das Geld aus der Tasche ziehen will.
Das Mitleid mit dem Protagonisten hielt sich bei mir allerdings in Grenzen, ist er doch ein in höchstem Maße unsympathischer, sogar widerlicher Kerl, der missgelaunt und schwitzend Arroganz ausstrahlt und den findigen Kubanern bei weitem nicht das Wasser reichen kann. Sein Schicksal war mir egal, gefesselt haben mir daher weniger die Handlung als die detaillierten Beschreibungen Polityckis, die ein so intensives, inneres Bild entstehen lassen, dass man meint, der Schweiß trete einem bald vor Hitze aus den Poren (und das bei hiesigen -1°C). An dieser Stelle eine Warnung: Dieser Roman beinhaltet deftige, erotische, brutale und vulgäre Szenen und eine Freigabe ab 14 oder 16 wäre anzuraten. Ein Beispiel: “[...] Ihre Lippen waren so wulstig dick, daß man sich schon beim bloßen Beschauen unanständig wähnte; wenn sie sich beim Grinsen auseinanderzogen, wollte man darauf wetten, daß sie sich in der nächsten Sekunde offen zum Geschlechtsteil umformen würden; wenn sie beim Auseinanderplatzen einen Keil in ihr Gesicht rissen und hinterm Weiß der Zähne eine dicke rosarote Zunge aufschwoll, erschreckend fleischig, war kein Zweifel mehr möglich: Sie war's.“
In solchen Satzungetümen könnte ich mich suhlen, allein der bereits erwähnten Bilder, die einem dabei im Kopf herumschwirren. Schade nur, dass dieser wunderbar barocke, intensive Erzählstil ausgebremst wird durch die Zähigkeit der Handlung, die einfach nicht vorankommen will. Ich ertappte mich sogar mehrmals bei dem Gedanken, mich eventuell einem anderen Buch zuzuwenden, da die Lektüre dieses Schinkens mit Anstrengung verbunden ist, so begeistert ich auch bin. Zudem werden etliche spanische Aussprüche und ganze Gespräche nicht übersetzt, die man sich mühsam – und zuweilen ohne Erfolg – selbst aus dem Kontext erschließen muss. Immerhin gibt es ein Glossar der wichtigsten Personen, derer es wirklich zuhauf gibt. Hätte sich Broschkus allerdings durch ein paar Dutzend Seiten weniger geschleppt und zumindest einen liebenswerten Zug gehabt, hätte ich „Herr der Hörner“ in den Olymp aufgenommen. So bleibt es beim gut.